Zum Inhalt springen

Das Leibniz-Forschungsnetzwerk Östliches Europa warnt vor einer Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit in Ungarn

14.07.2025 News

Stellungnahme zur geplanten Reorganisation des Ungarischen Forschungsnetzwerks HUN-REN und deren Auswirkungen auf die Geistes- und Sozialwissenschaften.

Das Leibniz-Forschungsnetzwerk Östliches Europa in der Leibniz-Gemeinschaft sieht die aktuelle Reorganisation des Ungarischen Forschungsnetzwerkes HUN-REN mit großer Sorge. Innerhalb kürzester Zeit sollen ohne entsprechende Vorbereitung und ohne klare Finanzierungssicherheit die vier geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschungszentren aus dem außeruniversitären HUN-REN Netzwerk herausgelöst und in die Eötvös-Loránd-Universität (ELTE) in Budapest eingegliedert werden. Die Reorganisation wurde im Juni 2025 vom HUN-REN Verwaltungsrat beschlossen und soll bereits im August umgesetzt werden. Weder die ELTE-Universität noch die betroffenen Institute sind auf diese fundamentale Reorganisation vorbereitet. Es steht daher zu befürchten, dass es zu einem massiven Abbau an Expertise in den Geistes- und Sozialwissenschaften kommen wird, sowie zu einer weiteren Einschränkung der ohnehin bereits prekären Autonomie der Wissenschaft in Ungarn.

Betroffen sind folgende Forschungszentren:

  • Research Centre for the Humanities
  • Hungarian Research Centre for Linguistics
  • Centre for Social Sciences
  • Centre for Economic and Regional Studies

Der Grundstein für die aktuelle Reorganisation, welche die ungarische Regierung dem Forschungsnetzwerk gegen den Widerstand zahlreicher Wissenschaftler*innen sowie der Personalvertretungen aufzwingt, ist bereits 2019 mit der Ausgliederung der vier Forschungsinstitute aus der Ungarischen Akademie der Wissenschaften gelegt worden. Heute tritt für die Geistes- und Sozialwissenschaften das ein, was Beobachter bereits 2019 als eigentliches Motiv der Regierung vermuteten: die weitere Einschränkung der Wissenschaftsautonomie und die Schließung von Einrichtungen, die kritische Forschung hervorbringen. Dass damit international renommierte Forschung existenziell gefährdet werden könnte, scheint die Regierung hinnehmen zu wollen. Insgesamt sind an den vier Instituten, welche an die ELTE eingegliedert werden sollen, mehr als 1100 Wissenschaftler*innen beschäftigt. Da die Regierung keine entsprechende Mittelerhöhung für die ohnehin unterfinanzierte ELTE über 2025 hinaus zugesagt hat, droht ein massiver Personalabbau.

Erst 2024 resultierte eine internationale Evaluierung von HUN-REN in der Empfehlung, die Autonomie des Netzwerkes sowie seine Finanzierung zu stärken. Von der aktuellen Reorganisation war bei dieser Evaluierung nicht die Rede, was zeigt, dass sie nicht wissenschaftsimmanent ist. Es liegt keine Strategie vor, wie die wichtige Arbeit der betroffenen vier Institute weitergeführt werden kann – ob außeruniversitär oder im Rahmen einer Universität. Vielmehr reiht sich diese Entwicklung in eine Reihe von Entscheidungen der Regierung von Viktor Orbán ein, die Ungarn zum Schlusslicht bei der Wissenschaftsfreiheit in der Europäischen Union gemacht haben. Echte Wissenschaftsfreiheit braucht Stabilität und Vorhersehbarkeit in den finanziellen und institutionellen Rahmenbedingungen von Forschung und Lehre.

Als Leibniz-Forschungsnetzwerk Östliches Europa beobachten wir die neuesten Entwicklungen in Ungarn mit größter Sorge. Die vier betroffenen Forschungszentren sind nicht nur wertvolle Kooperationspartner, sondern wichtige Träger international sichtbarer geistes- und sozialwissenschaftlicher Forschung in Ungarn. Sie tragen wesentlich zum besseren Verständnis der Gesellschaften Europas sowie ihrer Vielfalt bei und bringen mit ihrer Forschung Wissen über Ungarn in internationale Forschungsdebatten ein. Würde ihre Expertise wegfallen, entstünde eine große Lücke, und der bedenkliche Rückbau von Wissenschaftsautonomie in Ungarn würde sich fortsetzen.

Wir appellieren daher an die ungarische Regierung und die verantwortlichen Organe von HUN-REN auf, diese Entscheidung zu überdenken, jegliche Umstrukturierung von HUN-REN entlang der Bedarfe der Wissenschaft auszurichten und für eine auskömmliche finanzielle Grundlage auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften Sorge zu tragen.