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Forschungsfeld 2: Mobilität(en) und Ungleichheit(en)

Bild: IOS/neverflash.com

Eine der Einschränkungen, die europäische Regierungen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie im Frühjahr 2020 erließen, war die Schließung von Staatsgrenzen. Diese Maßnahme führte drastisch vor Augen, welche Bedeutung innereuropäische Mobilität hat und wie stark diese mit Ungleichheit innerhalb Europas zusammenhängt. Hundertausende Arbeitsmigrant*innen aus dem (süd-)östlichen Europa blieben auf ihrer hastigen Rückkehr an Grenzen stecken; deutsche Spargelzüchter*innen bangten um ihre Ernte, weil polnische und ukrainische Erntearbeiter*innen nicht mehr anreisen konnten, Österreich organisierte Sonderzüge für Pflegekräfte aus Rumänien, in deutschen Schlachthöfen infizierten sich südosteuropäische Arbeitsmigrant*innen massenhaft mit dem Coronavirus. Schlagartig wurde der Öffentlichkeit bewusst, dass ganze Berufssegmente von der Bereitschaft von Menschen aus Ost- und Südosteuropa abhängen, gegen geringe Löhne und bei schwierigen Arbeitsbedingungen zu arbeiten – eine Erfahrung, die schon in den 1960ern mit den sog. „Gastarbeiter*innen“ gemacht, aber wieder vergessen wurde. Vielfältig und in unterschiedliche Richtungen ausstrahlend sind die Zusammenhänge von Migration und Ungleichheit. Diese untersuchen wir in Verschränkung von historischen und sozialwissenschaftlichen Perspektiven: Einerseits sind manche Strukturen von Ungleichheit von langer Dauer (siehe etwa die Persistenz bürgerlicher Schichten oder von Armutsmilieus); andererseits verschreiben sich neue politische Regime, wie der Staatssozialismus, immer wieder der Gleichheit. Auch hier also tritt die Dualität von Kontinuität und Diskontinuität zutage.

Wir fassen dieses Beziehungsgeflecht unter dem Begriff der Mobilität zusammen, denn dieser enthält vielfältige Bedeutungen, die sowohl räumliche Migrationen (im Sinne des Wohnsitzwechsels) als auch den Wechsel des sozioökonomischen Status in einer Gesellschaft umfassen. In den Blick genommen werden muss dabei auch das Phänomen der Immobilität, das von der Migrationsforschung oftmals vernachlässigt wird. Sowohl räumliche als auch soziale Mobilität hängen eng mit Strukturen und Praktiken der Ungleichheit zusammen, ja sie konstituieren sich gegenseitig. Somit verbindet das Forschungsfeld die Untersuchung der internen und internationalen Migration, ihrer Ursachen und Auswirkungen auf die Migrant*innen und ihre Herkunfts- und Empfangskontexte, mit der Analyse von Strukturen und Bestimmungsfaktoren der sozialen Ungleichheit, manifestiert etwa in Armut, Diskriminierung und geschlechtsspezifischen Arbeitsmarktungleichheiten. Dabei geht es auch um die Frage, wie diese Phänomene von den gesellschaftlichen Akteuren wahrgenommen, interpretiert und politisiert werden.

Mit diesem Ansatz soll einerseits die Forschung – und gesellschaftliche Debatte – über Migration dezentriert werden, indem sie unter das Prisma der sozialen Ungleichheit gestellt und die Perspektive von Auswanderungsgesellschaften eingebracht wird. Die internationale Forschung, aber auch die öffentliche Debatte interessieren sich vor allem für Zuwanderung und Integration und blendet das andere „Ende“ des Migrationsprozesses aus. Somit kann das Forschungsfeld aus der Perspektive „peripherer Räume“ etwas zum Verständnis regionaler Ungleichheiten und ihrer historischen Entwicklung beizutragen. Zugleich eröffnet diese Fragestellung neue Perspektiven auf die Entwicklung von Ungleichheit in Ost- und Südosteuropa, vom 19. Jh. bis heute, und damit auf Differenzierungen innerhalb der Region. Ost/Südosteuropa stellt diesbezüglich eine regelrecht einmalige Region dar: bei Ungleichheit gehörten die staatssozialistischen zu den (ökonomisch) egalitärsten Gesellschaften der Welt – heute finden sich hier einige der ungleichsten in Europa. Wie erklären wir einen so dramatischen Wandel und die unterschiedlichen Wege innerhalb der Region?

Aus historischer Perspektive wollen wir in einer breiten zeitlichen Perspektive Muster des Zusammenhangs von Mobilität und Ungleichheit und deren Transformation in politischen Umbrüche analysieren. Aus einer Makroperspektive lässt sich die These formulieren, dass mehr als ein Jahrhundert intensiver (Arbeits-)Migration von Ost nach West sowie von massiver Binnenmigration Peripheriebeziehungen eher reproduzierten als überwanden. Besonders interessiert uns der Wandel der primären Faktoren, die soziale Ungleichheit konstituieren und soziale Mobilität beeinflussen: wie etwa die Eigentumsordnung, ethnische oder religiöse Zugehörigkeit, Unterschiede zwischen den Geschlechtern, deren Wandel ein zentraler Indikator gesellschaftlicher Transformation war und ist, sowie räumliche Siedlungsmuster. Für die historische Analyse unerlässlich ist die Frage nach den politischen Regimen der Ungleichheit, etwa in Bezug auf Gesetzgebung, Wirtschafts- und Sozialpolitik, Zugang zu politischen Ressourcen, auch ideologischen Visionen. Daher wollen wir auch herausfinden, wie in konkreten Situationen unterschiedliche Akteure Mobilität und Ungleichheit beschrieben, interpretierten und rechtfertigten – also welches Framing sie nutzten. Damit sind Weiterungen hin zu kultur- sowie kommunikationswissenschaftlichen Ansätzen eröffnet.

Der Forschungsschwerpunkt setzt an mehreren Teilfeldern der Wirtschaftswissenschaften an, darunter Arbeitsökonomie und Ökonomie der öffentlichen Wirtschaft, Entwicklungsökonomie und vergleichende Wirtschaftswissenschaften sowie Wirtschaftsgeschichte. Der Schwerpunkt liegt hier auf Ungleichheiten in Bezug auf Einkommen, Wohlstand, Lebenschancen und schließlich Gesundheit auf Landes-, Regional- und Haushaltsebene. Wir untersuchen daher interne und internationale Mobilität, Handel, ökologische Herausforderungen und Veränderungen des Wohlfahrtsstaates aus der Perspektive dieser Ungleichheiten. Ziel ist dabei, die Ursachen der Ungleichheiten zu entwirren und ihre Folgen für Wirtschaft, Gesellschaft und Politik in Ost- und Südosteuropa aus einer vergleichenden Perspektive zu verstehen.

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