„Herrschende Fiktionen“. Die Entstehung des Normalarbeitsverhältnisses in Portugal und Rumänien, von den 1920er bis in die 2000er Jahre
Projektverantwortlicher: Adrian Grama
Laufzeit: 2020—2023
Das Normalarbeitsverhältnis ist einerseits ein rechtliches Konstrukt, das durch eine stabile, langfristige, abhängige und sozial abgesicherte Vollzeitbeschäftigung definiert wird. Andererseits bildet es eine Handlungskategorie für Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Gewerkschaften, internationale Organisationen und den Staat. Die Forschung erklärt gemeinhin Entstehung und Entwicklung des Normalarbeitsverhältnisses durch eine Vielzahl von Faktoren, wie Fordismus, die Existenz von Tarifverhandlungen und die Genese des Wohlfahrtsstaats, die dieses im westlichen Nachkriegseuropa verorten. Das beantragte Projekt argumentiert, dass das Normalarbeitsverhältnis auch in der südlichen und östlichen Peripherie Europas im Verlauf des 20. Jahrhunderts entstanden ist, und zwar unter den Umständen einer Niedriglohn-Industrialisierung, steigender Beschäftigungsquoten und der fortschreitenden Verrechtlichungen von Arbeitsbeziehungen – sowohl unter autoritären als auch demokratischen Regimen. Anhand der Fallbeispiele Portugal und Rumänien wird untersucht, wie politische Entscheidungsträger, Rechtsexperten, Gewerkschaftsfunktionäre und internationale Organisationen dazu beitrugen, die Normalbeschäftigung zur Norm zu erheben und dieses besondere Arbeitsverhältnis auf die Mehrheit der aktiv beschäftigten Bevölkerung auszudehnen. Auf der Basis von archivalischen und öffentlich zugänglichen Quellen will das Projekt eine empirisch fundierte und theoretisch basierte Longue-durée-Perspektive vorlegen, die auch einen Beitrag zu aktuellen Debatten über Prekarisierung der Beschäftigung und Flexibilisierung der Arbeitsmärkte in Europa und darüber hinaus leistet.
Förderung: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)