Die Wiederentdeckung peripherer Geschichten des Völkerrechts: Der armenische Fall
Projektleiter: Artur Simonyan
Förderung: Deutsche Forschungsgemeinschaft (2025–2027)
Das Forschungsprojekt untersucht die Entwicklung der armenischen Historiographie des Völkerrechts mit besonderem Fokus auf die Konzepte von Staatlichkeit und Souveränität im Zeitraum von 1918 bis 2024. Es wird untersucht, wie armenische Juristen und Historiker diese Konzepte konzipiert, formuliert und revidiert haben und wie diese Interpretationen im Vergleich zu Archivmaterialien stehen. Ziel der Studie ist es, aufzuzeigen, wie das Völkerrecht im post-sowjetischen Räumen wahrgenommen und entwickelt wurde, insbesondere im Hinblick auf die einzigartigen historischen, politischen und rechtlichen Gegebenheiten Armeniens. Das Projekt gliedert sich in drei historische Phasen: die kurze Unabhängigkeit Armeniens (1918–1920), die Sowjetzeit (1920–1991) und die Zeit nach der Unabhängigkeit (seit 1991). Durch die Analyse dieser Phasen soll die Entwicklung von Staatlichkeit und Souveränität im armenischen Rechtsdenken nachgezeichnet und untersucht werden, welche rechtlichen und politischen Prozesse den Umgang Armeniens mit diesen Begriffen geprägt haben. Ein zweites zentrales Ziel ist es zu untersuchen, wie die sowjetischen Auffassungen von Souveränität und Staatlichkeit in Armenien im Vergleich zur vorherrschenden russischen Perspektive interpretiert wurden. Dies beinhaltet eine Analyse des Einflusses des sowjetischen Völkerrechts auf die armenische Rechtsgeschichtsschreibung sowie die Identifizierung möglicher regionaler Unterschiede. Das dritte Hauptziel besteht darin, Kontinuitäten und Diskontinuitäten im armenischen Rechtsdenken in der post-sowjetischen Zeit aufzuzeigen, insbesondere im Hinblick auf das sowjetische Erbe und die Rahmenbedingungen der vor-sowjetischen Zeit. Die Studie untersucht, ob armenische Gelehrte neue Diskurse wie den post-sowjetischen Dekolonialismus (Desowjetisierung) übernommen haben, oder ob sie Elemente sowjetischer und vorsowjetischer Ansätze beibehalten haben. Auf struktureller Ebene zielt das Projekt darauf ab, die im postsowjetischen Raum traditionell vorherrschenden russlandzentrierten Vorurteile in Frage zu stellen. Durch eine „Entsowjetisierung“ oder „Dekolonisierung“ der armenischen Historiographie des Völkerrechts soll ein differenzierteres Verständnis der armenischen Perspektiven ermöglicht werden, das die spezifischen Erfahrungen und Interpretationen, die sich in Armenien selbst herausgebildet haben, in den Vordergrund rückt. Schließlich wird das Projekt eine gründliche Analyse von Primärquellen, einschließlich Archiv- und Rechtsdokumenten, beinhalten, um die Interpretationen armenischer Juristen und Historiker neu zu bewerten. Durch den Vergleich dieser Primärquellen mit der Sekundärliteratur soll eine umfassende Neubewertung der Debatten um Souveränität und Staatlichkeit im armenischen Rechtsdenken vorgelegt und damit ein Beitrag zur weiteren Erforschung der post-sowjetischen Historiographie geleistet werden.
Gefördert duch