Ambivalente Umgestaltung des post-imperialen Raums: Ein transnationaler Entwurf für Bessarabien nach dem Ersten Weltkrieg
Bearbeiterin: Svetlana Suveica
Das Projekt beschäftigt sich mit alternativen Zugehörigkeitsvorstellungen in den turbulenten Zeiten nach dem Ersten Weltkrieg, als die politische Landschaft Ost- und Südosteuropas nach dem Zusammenbruch des Russischen, des Habsburger und des Osmanischen Reichs radikal verändert wurde. Bessarabien änderte seinen Status von einem russischen Gouvernement zu einer rumänischen Provinz. Diese Veränderung hatte enormen Einfluss auf das Leben der Bevölkerung. Verschiedene Formen der Anpassung und des Widerstands entwickelten sich auf der individuellen und der Gruppenebene, Pläne regionaler Umgestaltungen wurden entworfen, Gruppennetzwerke auf lokaler und transnationaler Ebene aufgebaut und Strategien zur Förderung der Mobilität erprobt.
Während sie ihrer wirtschaftlichen und sozialen Privilegien beraubt wurde, bestritt die ehemalige russische (bzw. Russisch sprechende) Elite Bessarabiens – Grundbesitzer, Adlige und Beamte – den neuen Status der Region. Mit der Unterstützung von russischen Emigranten in Europa, erarbeiteten sie eine russische Perspektive für Bessarabien als Alternative zu der rumänischen. Dieses periphere Projekt, entworfen in Paris, London, Genf und anderen europäischen Hauptstädten, war Teil eines komplexeren „Großrussland“-Plans, welcher zum Ziel hatte, US-amerikanische und europäische Offizielle sowie die öffentliche Meinung gegen das bolschewistische Regime zu mobilisieren und dadurch die verlorenen Gebiete für Russland wiederzugewinnen.
Die wichtigsten Forschungsfragen des Projekts sind: Auf welche Weise beeinflussten die lokalen und internationalen Ereignisse zwischen 1917 und 1918 das Leben der Bessarabier auf individueller und auf Gruppenebene? Wie brachte die Politik der Nationalisierung verschiedene Formen der Anpassung und/oder des Widerstands innerhalb von Minderheiten hervor? Wie gingen mit den Überlebenspraktiken ein Nationalismus „aus der Ferne“ und Nostalgie für „Mutter-Russland“ in der Region und im Ausland einher? Wie hingen lokale Identitätsbekundungen mit transnationalen Praktiken zum Aufbau regionaler Grenzen, die während der Pariser Friedenskonferenz und danach gezogen wurden, zusammen? Wir möchten zeigen, welchen Widerhall der „russische Fall“ von Paris ausgehend in Bessarabien erzeugte, und welche ambivalenten Zugehörigkeitsgefühle er bei den örtlichen Bessarabiern auslöste, die nicht notwendigerweise russischer Abstammung waren.
Durch das Aufarbeiten sozialer Biographien, durch die Rekonstruktion von Aktivistennetzwerken, Mobilitätsmustern und Aktionsplänen, wollen wir aufzeigen, wie die komplexen sozialen Prozesse den heterogenen und multidimensionalen Charakter der bessarabischen bzw. moldawischen Identität in der Folge geformt haben – auch heute ein relevantes und umstrittenes Thema.
Durchgeführt im Rahmen eines Georg-Forster-Stipendiums der Alexander von Humboldt Gesellschaft.