Real-Socialist Industrial-Worker Cultures in the Balkans: The Steelworks of Elbasan (Albania) and Kremikovci (Bulgaria) as Sites of Communist Socialization
Projektleiter: Prof. Dr. Ulf Brunnbauer
Projektmitarbeiter: Visar Nonaj, Biljana Raeva
Laufzeit: Oktober 2011 – September 2013
Dieses Vorhaben zielt auf die vergleichende Analyse von Industriearbeiterkulturen in Albanien und Bulgarien während des Staatssozialismus. Als besonders relevante und aufschlussreiche Fallstudien wurden zwei Stahlwerke ausgewählt: Kremikovci nahe Sofia in Bulgarien und das Stahlwerk Elbasan in Albanien. Bei beiden Kombinaten handelte es sich während des Realsozialismus um den jeweils größten Industriebetrieb im Land – mit rund 25 000 Beschäftigten in Kremikovci und 12 000 in Elbasan. Die beiden Stahlwerke spielten eine wichtige Rolle für die Industrialisierungspolitik der Kommunisten Bulgariens und Albaniens, die ihnen zudem eine enorme ideologisch-symbolische Bedeutung beimaßen: Die Kombinate manifestierten nicht nur den erhofften Modernisierungsdurchbruch, sondern sie sollten als Inkubinator eines modernen Proletariats, des „Neuen Menschen“ fungieren.
Diesen letzten Aspekt fokussiert das beantragte Projekt, wobei es den Blick „von oben“ hin auf die Ebene der Arbeiter und Arbeiterinnen in den beiden Betrieben umorientieren wird. Die zentrale Frage ist, welche Formen von Arbeiterkultur und welche Arbeitsbeziehungen sich ausgebildet haben, wobei die Identifikationen und Sinngebungen der Arbeiterschaft, ihre Binnendifferenzen, ihre Handlungsspielräume ebenso wie ihre kulturellen Ausdrucksformen untersucht werden sollen.
Zur Analyse dieses Themenkomplexes werden sowohl die ökonomischen Aspekte der Entwicklung der beiden Stahlwerke als auch die politisch-ideologischen Interventionen in das Leben der Arbeiter und die Versuche, ihren Habitus zu formen, berücksichtigt. Die Lebensweise der Arbeiter kann nicht verstanden werden, wenn nicht auf den Einfluss der Herrschenden (Partei, Staat, Betriebsleitung) auf ihre Lebensläufe eingegangen wird, noch zumal in einem System, das klare Vorstellungen davon hatte, wie der ideale Arbeiter auszusehen habe. Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich von der Eröffnung der Stahlwerke (Kremikovci 1963, Elbasan 1976) bis zum Ende der kommunistischen Herrschaft (1989 bzw. 1991). In einem Epilog werden die Erinnerungen der (ehemaligen) Arbeiter an die Zeit des Realsozialismus behandelt.
Mit seinen Fragestellungen betritt das Projekt völliges Neuland; in Südosteuropa gibt es keine moderne Arbeitergeschichte, und insgesamt stellt die Sozialgeschichte des Realsozialismus in Südosteuropa ein Desideratum dar – in Albanien ist sie gänzlich unerforscht. Methodologisch orientiert sich das Projekt an Zugängen der historischen Anthropologie und der neueren Sozialgeschichte. Methodisch basiert das Projekt auf einer Kombination der Auswertung von Archivquellen, der Analyse von publizierten Materialien sowie der Interpretation von Interviews und Ego-Dokumenten. Thematisch reiht sich das Projekt in Arbeiten zur „sozialistischen“ Industriearbeiterschaft in anderen Ländern ein, wobei insbesondere die Studien über „sozialistische Städte“ von Bedeutung sind, denn ähnlich wie diese waren die Stahlwerke in Kremikovci und Elbasan „Mikrokosmen“ sowie „Großbaustellen“ des Kommunismus.
Projektergebnisse und Vorarbeiten:
Publikationen:
- Ulf Brunnbauer: Stählerne Träume. Kremikovci und der Neue Mensch. In: Ulf Brunnbauer, Wolfgang Höpken (Hgg.): Transformationsprobleme Bulgariens aus historischer und anthropologischer Perspektive. München: Kubon und Sagner, 2007, 202–228.
Vorträge:
- Ulf Brunnbauer: „Ambivalente Normalität: Arbeiter/innen und Konsument/innen im „entwickelten“ Sozialismus“, Abendfestvortrag im Rahmen der Tagung „Arbeit, Konsum und Freizeit im Sozialismus“, Institut für Geschichte, Abt. für Osteuropäische Geschichte, Universität Zürich, 25.11.2011.
- Ulf Brunnbauer: „Socialist Workers: Nostalgic Memories, Ambivalent Life-Worlds“, Department of History, University of Pittsburgh, PA, 15.11.2011.
- Ulf Brunnbauer: „Workers and Managers from State Socialism to Market Capitalism: A Micro-history of Social Change”, Workshop“From the Eastern Bloc to the „New“ Europe: The Transformation in a Historical Perspective”, Universität Wien, Osteuropäische Geschichte, 15.-17.6.2011.
Gefördert durch die Fritz Thyssen Stiftung